„Was ist denn deine Superkraft?“ fragt man mich. Es ist anscheinend schick, irgend eine Fähigkeit als Superkraft anzupreisen und mit einem kleinen paradoxen Bruch die Erwartungshaltung des Publikums ein bisschen zu provozieren. Die Absicht ist natürlich, einen Job etwas überspitzt mit einer leicht konsumierbaren Aussage zu präsentieren.
Aber.
Das krankt unvermeidlich daran, dass die vermeintliche Superkraft etwas sein muss, das dieses Publikum spontan wiedererkennen und einordnen kann.
Was kannst du denn gut?
Also richtig, richtig gut? Nichts, das sich zum unmittelbaren Verzehr eignet. Was ich gut kann: Muster im Hintergrund und verborgene Regeln erkennen. Damit meine ich Gesetzmäßigkeiten, Auffälligkeiten, Muster, die sich wiederholen, und zwar in Bereichen, die verwickelt und voller Details sind. Sachen, wo Leute sagen „- also DAS ist mir viel zu kompliziert!“ oder „- ja DAFÜR bin ich doch nicht zuständig!“ oder „- also da brauche ich jetzt schon ein paar Informationen, SO kann ich da nicht arbeiten.“
Dann versuche ich da durchzusteigen, die inhaltlichen Konflikte aufzulösen, Abhängigkeiten zu erkennen, einen Prozess daraus zu machen. Oder ich kann helfen, wenn es bei anderen nicht weiter geht, weil ich in genau diesem völlig abseitigen Thema schon mal einen Trick gefunden habe, oder die drei Möglichkeiten, an denen es am ehesten liegt. Ich stelle meine Fragen und die anderen suchen sich gezielt durch die Verstrickungen ihrer Aufgabe. Meist klappt es, manchmal nicht; manchmal ergibt sich auch eine vierte Möglichkeit. Mit meinen Fragen konnten sie aber gezielt ausschließen, was ihnen den Blick versperrt hat. Entweder geht es auf einmal oder es ist klar geworden, dass ein Fehler an einer ganz anderen Stelle im System ist.
Wie heißt sowas?
Es gibt kein Kästchen im Organigramm für so jemanden. Es gibt keine Rolle im Unternehmen, keine Stellenbeschreibung. Es gibt nur diesen Zufall: unterschiedliche Anteile von Zähigkeit, Kenntnis vieler Bereiche in der Organisation, allgemeiner Erfahrung, Fachwissen, kommunikativer Fähigkeit, diplomatischem Einsatz und dem Wunsch nach einer Lösung treffen in einer einzelnen Person zusammen.
Diese Person gibt es auch in anderen Bereichen. Vielleicht ist sie genau diejenige, an die sich Konfliktparteien wenden, weil sie eine Lösung vorschlägt, der sich geschmeidig alle anschließen können. Vielleicht ist sie diejenige, die analytisch die eine Stelle in den Strukturen erkennt, an der es hakt und das so ausspricht, dass allen Beteiligten ein Licht aufgeht.
Diese eine Person hat zwar keinen Auftrag für diesen Job, erfüllt aber in der Gemeinschaft dieser Organisation eine Rolle mit großem gegenseitigen Nutzen. Das ist nicht wirklich greifbar, nicht offensichtlich, aber wenn sie einmal die Organisation verlässt, wird man im Stillen gelegentlich hören, dass es doch irgendwie besser lief, als sie noch da war.
Dann halt doch Superkraft.
Ich habe bisher keine geläufige Bezeichnung dafür gefunden. Eine Kollegin bezeichnete sich als „Madame Passepartout“ – sie war schon so lange in einer Querschnittsfunktion im Unternehmen, dass sie einfach überall etwas beitragen konnte. Woanders hieß es „ich frage mal unsere Geheimwaffe“. Ob es fachliche Erfahrung ist, detektivische Begabung oder besonderes kommunikatives Geschick, es ist in jedem Falle eine Superkraft, für die ein einzelnes Schlagwort nicht ausreicht. Es müsste eine Heldenerzählung angeschlossen werden, damit die Leute verstehen, wie und in welchen Situationen die Wirksamkeit zum Einsatz kommt.