Immer wieder, wenn das Thema Remote vs. Präsenz die nächste Runde durch die Medien dreht, weil ein Wirtschaftsblatt ein paar Beratungsunternehmen befragt hat oder ein desorientierter Patriarch seine Meinung lüftet, geht die Aufregung am eigentlichen Punkt vorbei.
Teils ist es ein Streit über Privilegien und Marktmacht, nämlich wenn Unternehmen ihrem jetzigen oder zukünftigen Personal die „Möglichkeit zum Homeoffice“ als Goodie gewähren oder Fachkräfte das Remote-Arbeiten rein aus schicker Anspruchshaltung fordern.
Teils ist es eine Diskussion über harte und weiche Faktoren der Arbeit: Ausstattung und Digitalisierung in den Unternehmen, Arbeitsorganisation, Freiheitsgrade, Vertrauen.
Wenn ich das mit meinen eigenen Arbeitssituationen vergleiche, stelle ich fest, dass das weder für meine Erwerbs- noch für meine Ehrenamtsarbeit relevant ist. Bestimmt bin ich da sehr privilegiert, aber ich vermute, dass meine Art von Arbeit auch typisch für viele Positionen in der Arbeitswelt von heute ist.
Nachgefragt: Was für Arbeit?
Das meiste, was ich tue, fällt in eine von zwei Kategorien.
Die eine ist das Wegarbeiten von Aufgaben, bei denen das Ergebnis klar ist, bei dem der Weg und die Aufgabenstellung bekannt sind und die meisten Informationen zur Verfügung stehen.
Die andere Kategorie hat viel größere nicht definierte Anteile: es fehlen wesentliche Informationen, die Aufgabe ist Teilprojekt in einem größeren Zusammenhang oder es handelt sich um ein neues Projekt mit ganz neuer Fragestellung.
Der Unterschied ergibt sich aus der Frage, welche Information fehlt, wo man sie herbekommt und was damit passieren muss.
Bei der ersten Kategorie muss eine Auskunft von A zu B und wird direkt weiterverarbeitet. In der zweiten Kategorie geht es um Kontexte mit komplexen Zusammenhängen. Da ist immer ein Durchsprechen und Aushandeln des besten Vorgehens nötig, oft ein gemeinsames Entscheiden. Diese Information muss erst noch produziert werden.
Das ist Arbeit mit Projektcharakter. Sie ist viel verbreiteter, als allgemein wahrgenommen wird.
Nachgefragt: Was für Austausch?
Die nächste Frage ist, wie der Informationsfluss oder die Absprache stattfindet. Muss das gemeinsam und gleichzeitig sein? Die Annahme ist, dass Präsenz das Problem löst: „weil da ist der Kollege doch gleich greifbar“.
Ein Irrtum. Der Kollege ist konzentriert bei seiner Arbeit, im Haus unterwegs oder mit anderen Personen beschäftigt – nur weil er „präsent“ ist, ist er nicht im direkten Zugriff. In Wirklichkeit muss man ein Meeting vereinbaren.
Das Ausmachen eines Termins und der Austausch zum Thema geschieht mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendwie digital. Nachrichten, Kalendereintrag, Arbeiten an gemeinsamen Dokumenten oder Themen wird alles von digitalen Tools gestützt.
Da ist es furchtbar egal, an welchem Ort wir jeweils unsere Endgeräte bedienen. Das eigentlich Relevante ist, dass wir uns absprechen, die Ergebnisse festhalten und jeder von uns dann seinen Teil bearbeitet oder den nächsten Schritt vorbereitet.
Nachgefragt: Was für Leute?
Und das ist es, worauf es ankommt: dass Leute, die an einem gemeinsamen Ziel gleichermaßen interessiert sind, sich eigenverantwortlich und selbstgesteuert für die Aufteilung der Arbeit und die Zielerreichung einsetzen.
Wo sie sich bei dieser Art der Teamarbeit gerade befinden, ist für die Qualität der Arbeit und der Ergebnisse nebensächlich. Das Wichtige ist, dass es funktioniert, obwohl die Mitglieder dieses Teams an verschiedenen Orten arbeiten.
Es kommt also maßgeblich darauf an, Leute zu haben, die das können: in verteilten Teams arbeiten. Leute, die ihr Fach beherrschen, die selbstorganisiert sind, Entscheidungen treffen oder herbeiführen können; Leute, die ihre Rolle verstehen und die die Bereitschaft mitbringen, diese Rolle auszufüllen.
Wer das verstanden hat, ist auch nicht mehr auf Nebenschauplätzen aktiv.