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Protokollschreiben

Ich lese einen Artikel zum Thema Projektarbeit, der Projektvorhaben in verschiedenen Ökosystemen vergleicht. Bei diesem Vergleich steht ganz oben auf der Liste der Gemeinsamkeiten das Stichwort „Protokollschreiben“.

Ah. Oh? Öhm. Nee. Iih!

Igitt

Protokolle arten so oft in Detailhuberei und übertriebenen Formalismus aus. Ihre gelebte Praxis findet in starr strukturierten, mit Randdetails und Zusatzinformation überladenen Vorlagen und Formularen statt. Die Inhalte muss man manchmal suchen und wenn man Pech hat, muss man erst noch interpretieren, was da überhaupt steht.

Wenn man „Protokollschreiben“ in Stellenanzeigen liest, ist die spontane Reaktion auch igitt: in Meetings dabeisitzen und mitschreiben. Die Vorstellung im Kopf ist genauso unangenehm wie „Erledigung der Korrespondenz“. Beides transportiert Bilder von der Assistenz als Mitschreibautomat: Texte nach Schema produzieren und von den Inhalten und Zusammenhängen nicht viel mitbekommen.

Warum?

Warum steht ausgerechnet diese Tätigkeit als Erstes in einer Liste von Gemeinsamkeiten verschiedener projektartiger Vorhaben?

Ich bin aktiv an einigen verteilten Projekten beteiligt und beobachte, wie wir dort jeweils zusammenarbeiten. Meine Erfahrungen aus dem Live-Einsatz zeigen mir, dass Protokolle mehr sind als Meetings-Artefakte.

Wenn nicht mitgeschrieben wird, bedeutet das zwar für den Moment weniger Arbeit und ein spritzigeres Miteinander, aber für die Zukunft nicht viel Gutes. Nebenher strukturiert Absprachen, Aufgabenverteilung und nächste Schritte festzuhalten, ist eine wichtige Stütze für das laufende Geschäft.

Wissensmanagement

Es ist unbedingt sinnvoll, außer den statischen Fakten auch Hintergrundinformationen zur aktuellen Situation und ihren logischen Notwendigkeiten zu notieren. Dann versteht man auch im Nachhinein noch, warum eine Entscheidung so getroffen wurde. „Im Nachhinein“ kann übrigens „schon eine Woche später“ bedeuten, vor allem, wenn die Beteiligten gleichzeitig in mehreren Projekten und an sehr unterschiedlichen Themen arbeiten.

So gesehen haben Protokolle auch eine strategische Daseinsberechtigung: indem man das festgehaltene Wissen dynamisch verwendet, um den Projektfortschritt zu messen und abzugleichen und damit Ideen voranzutreiben. In der Retrospektive sind diese Notizen eine Grundlage dafür, Vorgehensweisen anzupassen und über Ziele und ihre Erreichung anders nachzudenken.

Das heißt natürlich, dass die Beteiligten in diesem Team sich tiefer in Aufgaben, Details und Ziele einarbeiten und sich mit den Zusammenhängen auseinandersetzen müssen. Diese Art des Arbeitens benötigt mehr Zeit, mehr Energie, mehr Absprachen. Es bedeutet aber auch, dass die Mitglieder dieses Teams oder dieser Projektgruppe ein besseres Verständnis von der Arbeit der anderen haben.

Engagement im Team

Mit einem durchdachten Wissensmanagement kann man sich zukunftsfähig auf Wechsel im Team vorbereiten. Neue Teammitglieder profitieren enorm davon, wenn sie einfachen Zugang zu den relevanten Informationen haben. Damit spielt dieses schnöde „Protokollieren“ auch für den Teamzusammenhalt und das Miteinander eine wichtige Rolle.

Weil Wissen Macht ist, ist Wissen auch Teilhabe. Eine Öffnung der Wissensstrukturen für alle bedeutet Transparenz für alle. Damit zeigt man Bereitschaft, alle Mitglieder in der Gruppe mitzunehmen und gleichrangig einzuschließen.

Wer dagegen inhaltlich nicht involviert und informiert ist, wer die Prozesse nicht verstehen, keine Rückfragen stellen darf, für den ist diese Tätigkeit des Protokollschreibens eine Geisterbahn.

Um auf die oben erwähnte Stellenanzeige zurückzukommen: Es lohnt sich, im Kontext der Stelle genauer nachzufragen. Man bekommt einen Eindruck davon, wie das Unternehmen die Rolle ihrer Assistenz versteht.