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Assistenz

Projekt oder Projektion?

In der letzten Zeit haben Berufskolleginnen von mir Arbeitsaufträge zurückgegeben und sich dabei furchtbar gefühlt. Es handelte sich um inhaltlich und organisatorisch anspruchsvolle Projekte wie etwa das Wissensmanagement bei der Einführung eines IT-Systems oder die Organisation einer Prestige-Veranstaltung für mehrere verbundene Unternehmen.

In allen Projekten gab es die Situation, dass immer mehr Beteiligte immer neue Argumente und Vorstellungen einbrachten. Immer neue Umstände und Bedingungen traten auf und mussten selbstverständlich berücksichtigt werden, im Einzelnen alle nachvollziehbar und valide.

Über einen längeren Zeitraum navigierten sie sich durch die verschiedensten Fachgebiete, holten immer öfter und immer detailliertere Informationen von immer abgelegeneren Stellen ein und glichen diese miteinander ab, versuchten den Überblick zu behalten und die Gesamtlage zu managen. Es wurde aber immer mehr und verwickelter, bis sie verstanden, dass sie es mit ihren Mitteln nicht schaffen konnten und das Projekt abgaben.

Für diesen Schritt hatten sie lange gebraucht. Sie hatten diese Projekte in einer fast typischen Assistenzsituation übernommen: Die Stelle ist prädestiniert für alle Aufgaben, für die sonst keiner Zeit oder Kopf hat. Und zufällig waren sie gerade in einer Phase, in der sie nicht ausgelastet waren.

Sie fühlten es als Scheitern. Ein Projekt abbrechen! Dies in einer Funktion, die viel Klein-Klein regelt und wenig Gelegenheit bietet, sich zu beweisen, und in einer professionellen Umgebung, in der durchgeführte Projekte der Maßstab für Erfolg sind.

Alles ist Projekt

Ich möchte mal den Blick auf diese sogenannten Projekte richten.

Man übernimmt eine Aufgabe, bei der man erst im Machen feststellt, dass es eigentlich gar kein Projekt ist, sondern nur so heißt. Wichtige Projektmerkmale fehlen oder das Ziel ist nicht in einem realistischen Kontext definiert. „Alle sollen die Informationen über das System finden können“ oder „es gibt ein schönes Fest“ ist kein Ziel und kein Plan – es ist nicht mehr als Wunschdenken.

Wie oft landen Menschen in so einer Situation, die „Projekt“ heißt, aber eigentlich eine kollektive Traumlandschaft ist, die Projektion eines gewünschten Zustands?

Projekt oder Projektion

Vordergründig mögen Projektmerkmale erfüllt sein, aber wenn man genau schaut, haben sie einen toxischen Anteil: Wunsch statt Zielvorgabe, Schaunwermal statt Zeitplan, Chaos statt gemanagter Komplexität. Begrenzte Ressourcen: aber hallo. Neuartigkeit und Einmaligkeit bedeutet im Klartext: es gibt dazu keine Erfahrungen, kein Best-Of, noch nicht mal Informationsquellen, mach einfach mal.

Die Organisation hat einen im Wesentlichen unklaren Job übergeben und die Auftragnehmerin alleingelassen. Da ist es ist kein Versagen, eine aussichtslose Mission zu beenden, Grenzen einzuziehen oder konkrete Angaben und Hilfe einzufordern. Anstatt als Projektkaninchen im Höhlensystem der Wunschvorstellungen von Organisationen, Abteilungen oder Einzelpersonen die Kräfte zu verschleißen: Neinsagen und Rückdelegation ist die praktische Rückkehr zur Realität.