Wenn Organisationen wachsen, vor allem wenn sie schnell wachsen und quasi von alleine, getrieben von ihrem Erfolg, kommen sie manchmal an einen Punkt, an dem sie spüren, dass sich etwas geändert hat.
Das äußert sich nicht in Drama oder offenem Streit, sondern in einer verbreiteten, allgemeinen Unzufriedenheit. Viele Mitglieder der Organisation sind unzufrieden, reden darüber aber nur im kleinen Kreis ihrer vertrauten Gesprächspartner. Teils weil sie annehmen, es ginge nur ihnen so, teils aus dem Gefühl heraus, sie würden auf hohem Niveau jammern und sie seien undankbar, vor allem, da die Organisation insgesamt meist gerade sehr erfolgreich ist.
In meiner Beobachtung ist es so, dass bestimmte Leitformulierungen immer wieder vorkommen. Vor allem diejenigen, die schon länger dabei sind, also die „Alten“ in der Organisation, reden von „früher, den guten alten Zeiten“ und dass es „nicht mehr so ist wie damals“. Die Neuen, später dazugekommenen, reden davon, dass die Alten mehr Privilegien haben, besser vernetzt und besser informiert sind.
Dieses Reden pingpongt zwischen allen Beteiligten hin und her, ohne irgendwo wirklich einen Impuls zur Handlung auszulösen. Eigentlich wollen alle, dass etwas passiert, aber keiner weiß, was das sein soll, und jede Gruppe in der Organisation wartet, dass eine anderen Gruppe etwas macht.
Die anderen sind’s
Die Alten finden, die Neuen bemühen sich nicht genug, jammern nur und stellen so viele Forderungen. Die Neuen finden, dass die Alten niemanden ran lassen, alles besser wissen und ihr wirkliches Fachwissen für sich behalten.
Die technischen Abteilungen sind der Meinung, dass es Aufgabe des kaufmännischen Bereichs ist, etwas vorzuschlagen. Die sind schließlich dazu da, die Technik (die das Geld bringt!) zu unterstützen. Die Verwaltung findet, dass die Ideen ja mal aus der Technik kommen könnten, wo ist denn bitte die Entwicklungsabteilung angesiedelt?! – eben.
Die Buchhaltung meint, dass die Personalabteilung das in die Hand nehmen sollte, die haben schließlich was mit den Leuten zu tun. Das Lager findet, dass sie diejenigen sind, die immer zwischen allen hängen und dass sie nicht auch noch dafür verantwortlich sein können. Der Vertrieb hält sich heraus, denn er ist so viel unterwegs, eigentlich hat er gar nicht so den Draht zu den anderen Abteilungen in der Zentrale.
– egal auf welcher Ebene
Die unteren Hierarchieebenen warten darauf, dass die da oben etwas beschließen und vorangehen, es wird Zeit für FÜHRUNG, hallo! Die oberen sind unzufrieden, weil die unteren einfach nichts machen, man kriegt keine fähigen Leute mehr, die lehnen sich alle nur zurück und warten ab.
Die Einzelkämpfer klagen, dass keiner auf ihre Vorschläge reagiert. Die Zurückhaltenden finden, dass es immer einige wenige sind, die den Ton angeben. Die Stillen fühlen sich übergangen, die Lauten nicht gehört, diejenigen, die Projekte treiben, finden, dass niemand an ihrer Arbeit interessiert ist, diejenigen ohne Projekte fühlen sich abgehängt.
Jeder spürt, dass etwas verkehrt ist, ohne wirklich festmachen zu können, was es ist und woran es liegt. Und jeder hat die Erwartung, von außen, von irgendwem anderen, von einer anderen Stelle müsste etwas passieren.
Strukturfreier Raum
Es gibt aber diese Stelle nicht – da ist ein Leerraum. Es gibt ja noch nicht mal Konsens darüber, dass diese Unzufriedenheit besteht. Die Organisation hat sich selbst überholt.