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Assistenz

Assistenz ist nicht Care

Beim lockeren Austausch unter Berufskolleginnen redet man oft über typische Situationen im Berufsalltag. Das sind wichtige Momente, denn wir sind meist Einzelkämpferinnen und haben niemanden, mit dem wir diese Erfahrungen teilen können. Im Gespräch mit Gleichgesinnten tauschen wir besondere und kuriose Geschichten aus, jede in der Gruppe versteht die Witze und kennt die Probleme. So entsteht Gemeinschaftsgefühl und oft folgen Ratschläge, Trost und gute Tipps.

Dabei kehrt ein Thema immer wieder:

Die Vermischung von Privatleben und Arbeit

Erzählt wird beispielsweise von solchen Aufträgen wie Blumen für eine Ehefrau zu besorgen, Kleider in die Reinigung zu bringen, Pflaster aufzukleben, mit der bestimmt in der Schublade vorgehaltenen Sicherheitsnadel einen Knopf zu ersetzen. Oder Kollegen leiten aus der Bereitschaft der Empfangskraft, private Sendungen entgegenzunehmen, die Vorstellung ab, dass sie auch private Pakete zur Packstation mitnähme.

Das sind Beispiele für eine Beauftragung der Assistenz mit Tätigkeiten, die im privaten Bereich der Führungskraft oder der Kollegen liegen.

Es geschieht aber auch in umgekehrter Richtung: Übergriffe auf die private Zeit, die private Sphäre oder die Person der Assistenz.

Kolleginnen klagen darüber, dass sie Aufträge ohne ausreichend Vorlaufzeit erhalten und dass dafür notwendige Informationen manchmal gar nicht mitgeteilt werden. Zur fristgerechten und qualitativ akzeptablen Erledigung ist Mehrarbeit außerhalb der regulären Arbeitszeit erforderlich. Sprich: es wird über die private Zeit und das private Leben der Assistenz verfügt.

Ähnlich bei firmeninternen Veranstaltungen. Realität ist oft, dass die Assistenz nach dem normalen Arbeitstag und zusätzlich zur Vorbereitung der Firmenfeier noch den ganzen Abend bei dieser Firmenfeier als Ansprechpartnerin verfügbar ist. Die Zeit wird, weil Feierabend und sozialer Anlass, nicht gebucht, die Erwartung ist, dass die Verantwortung für den reibungslosen Ablauf der Veranstaltung bei der Assistenz liegt, und zwar nebenher. Anders formuliert, ist es ein Tausch von privater Freizeit gegen eine Mahlzeit und Unterhaltungsprogramm.

Ich spreche hier nicht von solchen Situationen, wo klar vereinbart ist, dass Privataufgaben Teil der Stellenbeschreibung sind. Es geht mir auch nicht darum, Entgegenkommen, Gefälligkeiten und kollegiale Unterstützung abzuurteilen. Mein Blick liegt auf dem Mechanismus, der die Erwartungen steuert und von der verblüffenden Selbstverständlichkeit, mit der immer wieder Leistungsbereitschaft auch in nicht-beruflichen Bereichen vorausgesetzt wird.

Was geschieht hier?

Assistenz ist Teil einer organisierten Infrastruktur, bei der eine oder mehrere Personen im Hintergrund professionelle Dienstleistungen erbringen. Das wird nur nicht in dieser Vorstellung und in diesen Begriffen wahrgenommen.

Wenn diese Infrastruktur gut organisiert ist und geschmeidig läuft, bleiben ihre Prozesse im Verborgenen, ihre Existenz wird als Selbstverständlichkeit fehlinterpretiert.

Diese selbstverständliche Erwartung des automatischen Verfügbarseins erstreckt sich im Anschluss auch auf die Personen, die diese Leistungen erbringen. Diese werden damit zu Personal, einer ent-individualisierten, anonymen Gruppe, die nicht länger aufgrund einer Stellenbeschreibung gegen Entgelt auf professioneller Basis tätig ist, sondern die quasi eine Pflicht zum Funktionieren hat.

Dieses Funktionieren scheint den Charakter der Dienst-Leistung abzulegen und wird als Dienst wahrgenommen, der in Notsituationen und Grenzfällen eingefordert werden kann.

Verschiebung: von Vorsorge zu Fürsorge

Hier geschieht eine mehrdimensionale Entgrenzung. Das „Kümmern“ der Assistenz wird unreflektiert mit ähnlich wahrgenommenen Kümmerer-Rollen gleichgesetzt, d. h. öffentlicher Infrastruktur, Pflege, Haushalt. So entsteht das fehlende Empfinden für die Grenze zwischen privat und beruflich. Die Erwartungshaltung „Fürsorge“ verdrängt die eigentliche „Vorsorge“.